Im Senioren Wohnpark Kranichstein in Darmstadt gehen 17 Erwachsene zwischen 20 und 60 Jahren durch einen Raum, spritzen mit bunter Farbe um sich und malen die weißen Wände mit Schlangenlinien und Punkten an. Bettina spielt dazu auf dem schwarzen Flügel. Keiner wird nachher putzen müssen, denn sie verwenden die Farben ihrer Phantasie – ein wichtiger Teil der Rhythmik.
Am 17. April traf sich die „Rhythmikgruppe für Erwachsene“ das erste Mal, um gemeinsam Zeit mit Bewegung, Sprache, Musik und Lachen zu verbringen. Bettina Bahro, eine der Initiatorinnen, hat den Abend vorbereitet. Zuerst darf sich jeder eine bunte Schlagglocke aussuchen, deren Farbe auf den neuen „Besitzer“ übergeht. Alle erfinden eine Bewegung zu ihrem Namen. Später denken sich die TeilnehmerInnen in Kleingruppen Melodien mit ihrem Namen und den Tönen der Glocken aus. So lernen sich alle untereinander besser kennen.
Später liegen auf dem Boden verschiedene bunte Formen aus Tonpapier. Jeder sucht sich eine davon aus und legt sie auf ein großes Stück schwarze Pappe in der Mitte des Raumes: Ein gemeinsames Gruppenkunstwerk entsteht. Eine Frau schlängelt sich wie die Spirale, die sie sich als Form ausgesucht hat, auf ihrem Platz. Eine andere rotiert wie ein Wagenrad. Dann findet jede/r schließlich ein Geräusch, eine Bewegung und ein Instrument zu seinem Gegenstand. Bettina zeigt mit einem Stab auf einzelne Formen und betrachtet mit einem Bilderrahmen einzelne Ausschnitte auf dem Bild. Je nachdem welcher Teil des Bildes gerade aktiv ist, klingt es in dem Raum ganz anders: Trommel mit Triangel oder Rassel mit Regenmacher. Als die Lupe von ihr über das Bild gehalten wird, nimmt die Lautstärke zu. Dann verändert Bettina die Lage und Form des Bildes im Raum, damit verformen sich auch die Bewegungen und Klänge der Teilnehmer. „An Rhythmik gefällt mir die Verbindung von Musik, Bewegung und Phantasie.“, sagt Melanie, 30 Jahre.
Der erste Abend endet mit einem gemeinsamen Feuerwerk: Während die eine Hälfte der Gruppe ein Feuerwerksgedicht vertont, darf die andere Hälfte tanzen. Die Trommeln und Rasseln werden zu einem prasselnden Feuerwerk und die Menschen zu fliegenden Raketen, die am Ende alle auf dem Teppich sitzend und liegend zur Ruhe kommen. Die Teilnehmer sind begeistert, viele haben vorher noch nie etwas von Rhythmik gehört. „Nächstes Mal möchten wir auf jeden Fall wieder kommen!“, sind sich fast alle Gruppenteilnehmer einig.
Der zweite Abend der Rhythmikgruppe beginnt wieder mit gegenseitigem Kennenlernen. Auf Socken, barfuß und in Sandalen laufen die Erwachsenen durch den Raum, rufen sich ihre Namen zu und spielen fangen. Danach lädt Bettina alle zu einer Kreuzfahrt ein: Dafür werden mit einem rhythmischen Klatschspiel die Koffer gepackt. Mario schleppt zum Beispiel Haus und Hof mit chinesischen Tragestangen schwerfällig durch den Raum, ein anderer hat die Kreissäge im Rucksack. Dann verändert die Phantasie den Raum: Der bunte Teppichboden wird zum Strand, die Stühle werden zu Schiffskabinen, die weißen Wände zu holzwurmzerfressenen Holzbohlen und der Balkon wird zur Reling. Am Meer gibt vieles zu entdecken: Möwen, Miesmuscheln, Krebse und Seesterne. In Zweierpärchen überlegen sich die Erwachsenen eine Bewegung zu ihrem Gegenstand. Die Möwe, Laura, beginnt mit den Armen zu wedeln und die Miesmuscheln Gabi und Christiane öffnen und schließen ihre Hände. Bettina steht in der Mitte des Kreises und dirigiert die Bewegungen und Worte zu einem rhythmischen Klangteppich.
Dann verteilt Bettina aus einem Korb an alle handgroße Gegenstände, die in Tücher eingepackt und noch nicht erkennbar sind: der „Bord Pass“. Mit der gleichen Neugierde wie kleine Kinder die Welt entdecken, erforschen nun die Erwachsenen ihren Gegenstand. Sie fassen ihn von allen Seiten an, sie packen ihn aus, sie pusten hinein und bringen ihn mit kleinen Stöckchen zum Klingen. „Das ist aber eine Überraschung!“ ruft Gabi, als sie schließlich eine Muschel aus dem bunten Tuch wickelt. In den Schiffskabinen richten sich die „Passagiere“ neben den Rasseln, Klanghölzern, Trommeln, Xylophone und anderen Percussionsinstrumenten ein. Nun müssen alle noch ihre Musikalität bei einem Klatschspiel unter Beweis stellen – keiner bleibt am Strand zurück und die Fahrt beginnt. Auf dem Boot erlebt die Gruppe eine Menge: Holzwürmer müssen mit Pinseln und Liedern bekämpft werden, im „Maschinenraum“ treffen sie auf einen lauten Motor: den trommelnden Martin. Neben der Arbeit gibt es auf dem Boot auch einen Wellnessbereich. Die Massagestraße finden alle in der Gruppe besonders angenehm und lassen sich gerne den Rücken und die Beine abklopfen. Das Captainsdinner muss schließlich abgebrochen werden, weil der Seegang zu hoch ist.
Der Abend endet mit einem gemeinsamen Fest auf dem Schiff: Während ein Teil der Gruppe zum Tanz aufspielt, bewegt sich die andere Hälfte durch den Raum. Nach dieser aufregenden Fahrt setzt sich Bettina an den schwarzen Flügel und spielt ein Schlaflied, während die „Passagiere“ Rücken an Rücken sitzend mit den Wellen langsam hin und her schaukeln. Christiane war zum ersten Mal da. „Der Ideenreichtum und die Abwechslung gefallen mir sehr gut. Ich wusste nicht, was mich erwartet.“, sagt sie.
Verfasserin: Sara Mierzwa
Abspann: Die Rhythmikgruppe für Erwachsene ist auf Initiative von Natalie Franken, Hiltrud Johann-Laurent und Bettina Bahro entstanden. Alle drei haben beim Bildungswerk Rhythmik den Kurs RE60 absolviert und wollten, da sie im Alltag immer mit Kindern arbeiten, gerne die Rhythmik mit Erwachsenen erleben. Mit Unterstützung von Edith Auer und Iris Puchtler von der AG Rhythmik in Hessen wurde dann Werbung gemacht und ein Pool von ca. 30 Interessenten erreicht. Die Gruppe ist unkommerziell organisiert. Die Organisatoren hoffen die Gestaltung des Abends immer ehrenamtlich in andere Hände legen zu können und somit nur Unkosten für den Raum aufbringen zu müssen. Weitere Interessenten können gerne über die AG Rhythmik in Hessen Kontakt zu uns aufnehmen. Wir wollen uns 4 x im Jahr treffen und vereinbaren die Termine intern. Die Teilnehmer kommen aus sehr unterschiedlichen Berufen und so ist die Gruppe hoffentlich auch ein Beitrag die Rhythmik ein wenig bekannter zu machen und vielleicht Interessenten für die Angebote des BWR oder eine Ausbildung zum Rhythmikpädagogen zu finden.